2024 präsentierte PODIUM das Teilprojekt BRUCKNER.lab, die Klanginstallation BODIES OF WATER und den Start des Teilprojekts ATONAL FÜR DEUTSCHLAND sowie den Komponisten und Schlagzeuger Lukas Akintaya als Künstler in Residence im Rahmen des Festivals und darüber hinaus.
Im BRUCKNER.lab wurde die traditionell bürgerliche Bedeutung der Sinfonie aus historischen und heutigen Perspektiven hinterfragt. Zum Abschluss des Formats mit drei Werkstattkonzerten war die von mehreren Komponist*innen gemeinschaftlich komponierte „Sinfonie der Gegenwart” zu hören. Zwei Komponist*innen aus Indonesien und Lac Seul First Nation (Kanada) beschäftigen sich in der Klanginstallation BODIES OF WATER der Reihe MUSIKALISCHE MAHNMALE mit dem Klimawandel und dem Wasser als lebenswichtige Ressource und lebensbedrohliche Naturgewalt. Artist in Residence war der Schlagzeuger Lukas Akintaya, der mit der DJ KA-RABA und der Tänzerin und Choreografin Naïma Mazic zwei inspirierende Beiträge zum Festival kreierte. Beim Auftaktkonzert des Kunstprojekts ATONAL FÜR DEUTSCHLAND - Laute Musik gegen Rechtsextremismus stand das erste Video im Mittelpunkt, kombiniert mit Auszügen aus Theodor W. Adornos Rede zum Rechtsextremismus aus dem Jahr 1967 und Musik, die sich u.a. mit Fällen der Zensur von künstlerischen Werken beschäftigt. Zudem wurde in drei Stadtteilkonzerte partizipativ mit unterschiedlichen Partnern gearbeitet.
Im Rahmen des Förderprogrammes „tuned – Netzwerk für zeitgenössische Klassik“ der Kulturstiftung des Bundes experimentiert PODIUM mit verschiedenen Formaten in den Bereichen Bühne, Publikum und Organisation.
Mit dem mehrjährigen Programm „tuned – Netzwerk für zeitgenössische Klassik“ hat die Kulturstiftung des Bundes ein Förderprojekt ins Leben gerufen, das gezielt innovative Ansätze unterstützt, die Alternativen zum „klassischen“ Konzertbetrieb aufzeigen. Es ist für PODIUM eine große Auszeichnung, als eines von sechs Festivals für dieses bundesweite Netzwerk ausgewählt worden zu sein. Die weiteren Partner des Netzwerks sind: Beethovenfest Bonn, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern (detect classic festival), Mozartfest Würzburg, Thüringer Bachwochen, TONALi Hamburg. Neben regelmäßig stattfindenden Arbeitstreffen und Klausuren werden im Rahmen von „tuned“ jährlich bundesweite Akademien und ein großes Ideenfestival 2025 veranstaltet.
Wer nichts vor sich sieht und wer die Veränderung der gesellschaftlichen Basis nicht will, dem bleibt eigentlich gar nichts anderes übrig, als wie der Richard-Wagnersche Wotan zu sagen: »Weißt Du, was Wotan will? Das Ende«, - der will aus seiner eigenen sozialen Situation heraus den Untergang, nur eben dann nicht den Untergang der eigenen Gruppe, sondern wenn möglich den Untergang des Ganzen.
Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, 1967
Theodor Adornos Beobachtungen, über bestehende und wachsende Tendenzen zum Rechtsradikalismus in der deutschen Gesellschaft, die er 1967 in seinem Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ teilte, klingen heute erschreckend aktuell. Rechtsextremistische Angriffe gegen die Grundfesten unserer Demokratie werden immer radikaler, die Missachtung fundamentaler Rechte wie Kunst-, Wissenschafts- und Meinungsfreiheit immer offensichtlicher. Gerade im wenig kontrollierten Raum des Internets hat der Rechtspopulismus die Sozialen Medien als Propagandainstrument für sich entdeckt und nutzt diese Plattformen offensiv, um insbesondere junge Menschen gezielt zu beeinflussen. Mit dem Kunstprojekt ATONAL FÜR DEUTSCHLAND gibt PODIUM Esslingen jungen Künstler*innen Raum, sich künstlerisch mit dem wachsenden Rechtsextremismus und der Gefährdung unserer Demokratie kritisch auseinanderzusetzen. Im Rahmen des Projekts entstehen Neukompositionen und künstlerische Videos, die propagandistische Reden von Politiker*innen musikalisch dekonstruieren und demaskieren. Die Videos werden im Rahmen von Konzertformaten und im digitalen Raum gezeigt. Sie sollen einen Beitrag leisten zur kritischen Reflexion und zur offenen Debatte.
Wahrhaft progressive Kunst widerspricht jeder Art der Essenzialisierung, der Fragmentierung und der Polarisierung. Sie widerspricht jedem Ideal der Reinheit und der Korrektheit; sie sucht nach Transgression; sie sucht nach Verbindungen, auch gerade nach solchen, die in der restlichen Welt nicht mehr möglich sind – zwischen Menschen, zwischen Traditionen und Stilen, zwischen politischen und ästhetischen Positionen –; sie bringt zusammen, was scheinbar gerade nicht oder nicht mehr zusammengehört, und sei es, dass sie dies im Modus des Streits zusammenbringt.
Jens Balzer, „Möglichkeiten, oder wir ersticken“, 2024
Das Projekt startete mit dem Konzert ATONAL FÜR DEUTSCHLAND – Laute Musik gegen Rechtsextremismus am 26. April 2024, das im Rahmen des PODIUM Festivals in der Frauenkirche Esslingen stattfand. Neben Ausschnitten aus Theodor W. Adornos Vortrag von 1967 und standen darin Musikstücken, die sich insbesondere gegen Zensur und Eingriffe in die Kunstfreiheit wehren. wurde auch das erste künstlerische Video präsentiert.
Mit Text, Videos und Musik werden bei „ATONAL FÜR DEUTSCHLAND“ Hierarchien abgebaut und Zwänge abgelegt. Das kommt inhaltlich, klanglich und rhythmisch überaus komplex daher. Acht Kontrabässe, ein Flügel und wuchtige Hammerschläge formieren sich zu einem großen musikalischen Ganzen. Deshalb gibt es bereits am Einlass prophylaktisch Ohrstöpsel und zur Begrüßung das ausdrückliche Versprechen an das Publikum: „Wir können über alles diskutieren."
Susanne Benda, Stuttgarter Zeitung, 2024
Das erste Video in der Reihe stammt vom Schweizer Komponist, Sänger und Performer Elia Rediger und dem Regisseur und Videokünstler Michael von zur Mühlen. Ihr künstlerisches Video „Requiem für Alice“ dekonstruiert die hasserfüllte Rede von Alice Weidel vom 31. Januar 2024 im Deutschen Bundestag. Das Werk gebraucht die künstlerische Form des Requiems als fiktives Szenario der Läuterung und lässt den unbändigen, immer wiederkehrenden Hass dieser Rede deutlich spüren. Mit einem fiktiven Blick aus dem Jahr 2044 zurück konterkariert das Kunstwerk den unsäglichen Auftritt der Politikerin.
Dieses Kunstwerk ist ein Appell und soll zum Nachdenken und zur kritischen Auseinandersetzung anregen. Wir müssen als Künstler*innen und Kulturschaffende mit unseren Werken Menschen wachrütteln, sie irritieren und manchmal auch provozieren, aber immer bereit sein, Brücken zu bauen für einen konstruktiven Gedankenaustausch.
Elia Rediger, 2024
Dass es eine schwierige Gratwanderung ist, dabei mit Originalmaterial umzugehen, ist allen Beteiligten bewusst.
Durch die musikalische Dekonstruktion und die Kontextualisierung wird die notwendige Distanz zum Original geschaffen. Für unsere Demokratie ist eine lebendige und streitbare Kunst unverzichtbar. Ihr Raum zu geben und die Demokratie mit Mitteln der Kunst zu verteidigen, ist mir als aktiver Musiker und als Künstlerischer Leiter von PODIUM Esslingen ein großes Anliegen.
Beim PODIUM Konzertwochenende „WIDERSTAND, MUSIK & DEMOKRATIE“ im August 2024 im Kloster Bebenhausen feiert ein weiteres neues Kunstwerk in der Reihe im Rahmen eines Konzertformats PREMIERE, mit einer Neukomposition von Rike Huy und einem dramaturgischen und visuellen Konzept.
Nun, zur Frage der Abwehr lassen Sie mich nur noch ganz wenige Worte sagen. Ich glaube, die »Hush-Hush«-Taktik, also die Taktik, diese Dinge totzuschweigen, hat sich nie bewährt, und es ist sicher heute bereits diese Entwicklung viel zu weit gegangen, als daß man damit noch durchkäme. Daß man nicht moralisieren, sondern an die realen Interessen appellieren soll, habe ich Ihnen bereits gesagt. Ich wiederhole es nur noch mal.
Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, 1967
Die Musikerinnen und Musiker beziehen Stellung – mutig, kritisch und mit ihrem ganzen künstlerischen Können.