Die Hoffnung ist eine Menschenfeindin: Der Abend FUEL setzt sich mit dem Ende des fossilen Zeitalters auseinander und führt die Musiker*innen des ensemble reflektor an ihre körperlichen Grenzen.
Welchen Unterschied der Raum macht! Nicht nur: Hall und Weite, das Versickern und Zurückwerfen von Sound in den Texturen der Oberflächen, Teppich oder Beton. Natürlich dominieren auch die Atmosphären der Architektur die Wahrnehmung und die Effekte eines Stücks. Umso mehr gilt das für Stücke, die variabel gestaltet sind, die durch die Besetzung, aber auch von den individuellen Entscheidungen der Musiker*innen und des Dirigats mitgestaltet werden. Als wenige Tage zuvor inti figgis-vizuetas „talamh“ in der Stadtkirche St. Dionys gespielt wurde, war das Stück mächtig, weit, erhaben. In der Werkstatt des Autohauses Jesinger hingegen trat das ensemble reflektor unter der Leitung von Friederike Scheunchen mit beinahe bedrohlicher Härte auf. Statt Ewigkeit: Warnschüsse ans Jetzt.
Der Abend heißt „Fuel“, und das namensgebende Stück von Julia Wolfe ist eine Auseinandersetzung mit dem globalen Handel. Die Soundkulisse eines Großhafens, die Geräusche von Anlanden, Ausladen, von Transport werden in energische Noten für Streichinstrumente transformiert. Schiffshupen tönen, Ladeklappen schließen sich mit Quietschen und festem Schlag. Wie klingt die Globalisierung, wie klingt der Klimawandel? Vielleicht so. Vielleicht kommt Julia Wolfe in ihrem Stück einem Soundtrack zu den multiplen Katastrophen, die das Zeitalter fossiler Brennstoffe ausgelöst hat, beeindruckend nahe. In Musik verwandelt und so von der reinen ökonomischen Notwendigkeit abgelöst, ist die Bedrohung spürbar.
Das Ensemble, auf der Bühne in der Mitte der Halle im Kreis aufgestellt, als tighter, geschlossener Klangkörper, spielt das über 20 Minuten lange Werk mit umwerfender Energie, die nicht nur – vor allem in den selbstbewusst evozierten Dissonanzen – das Publikum unangenehm körperlich berührt, sondern auch Respekt abnötigt: In den Proben hielten sich die Musiker*innen noch dazu an, das Stück nicht mit hundert Prozent ihrer Kraft zu spielen, um bei der Aufführung an die körperlichen Grenzen zu gehen. Die Verbindung von Komplexität und reiner Power, die schließlich auch den Welthandel prägt, ist in den Körpern der Musiker*innen spürbar, die Gesichter angespannt, die Arme fliegen, Schweiß tropft. Industrie als Handarbeit. Aber vor allem: Musik, die ihre Verantwortung annimmt, Unsichtbares sichtbar zu machen, Klangsprache zu geben für Unhörbares und Unaussprechliches.
Gut, dass das zarte, berückende weltliche Madrigal „Morir non può il mio core“ der Renaissance-Komponistin Maddalena Casulana zuvor Publikum und Orchester einen kurzen sicheren Raum schafft. Die Melodie ist dabei eigentlich zu lieblich für den Text von verzweifelter Liebe, die aus heutiger Perspektive gefährlich, toxisch den Tod als andere Seite umarmt: Wir sterben beide, wenn ich mein Herz abtöte. So ist es vielleicht, ganz kontraintuitiv, ausgerechnet das abstrakte Schlussstück „Natura Renovatur“ von Giacinto Scelsi, das den Hoffnungsschimmer zwischen die schweren Gerätschaften der Autowerkstatt legt, das nach überwältigendem Applaus für „Fuel“ vom Ensemble in kleinerer Besetzung gegeben wird. Die Natur, die sich erholt – für den spirituell beeinflussten Komponisten der Neuen Musik könnte das auch eine sein, die die ordnende und oft genug übergriffige Hand des Menschen abgeschüttelt hat.
So ist am Ende wie am Anfang dieses Abends weite, abstrakte Landschaft, dazwischen Apokalypse im globalen wie im privaten Maßstab. Eine große Klangreise und ein umwerfendes Konzert.
Wir danken den Stadtwerken Esslingen für die freundliche Unterstützung.
Fotos: Sophia Hegewald