Der Konzertabend „Die Hand, das Werk“ lässt Musiker*innen zwischen Stahlblechen und Messingstäben die mathematische Präzision der Fuge und die laute Rhythmik industrieller Klangwelten erkunden.
Am Vorabend des Arbeiter*innenkampftag spielt PODIUM Esslingen ein Stück, das die Kraft einer vereinigten Arbeiter*innenschaft in Musik fasst: In Louis Andriessens „Workers Union“ von 1975 spielen neun Musiker*innen mechanisch unisono oder in widerlaufenden Klangzahnrädern. Die Melodie bleibt undeterminiert, dafür ist der Rhythmus engmaschig vorgegeben, die einzelnen Phrasen für das Ensemble beliebig oft wiederholbar. Andriessen wollte das Stück so frei zugänglich wie möglich machen und schrieb es daher nicht für einzelne Instrumente, sondern nur – für eine „laute Gruppe“. Man kann „Workers Union“ also auch mit Trillerpfeifen und Ölfasstrommeln bei einem Streik aufführen. Oder mit Werkzeugen in einer Fabrikhalle.
An diesem Abend ist die Besetzung eine klassisch kammermusikalische, aber dafür in einer Kulisse aus der fast mystischen Hochphase der Industrialisierung. Das Esslinger Eisenlager, ein mächtiger Backsteinbau aus dem späten 19. Jahrhundert, ist der perfekte Raum für das Stück: Durch den Bühnennebel wirkt die Szenerie der hier lagernden Elemente aus Blank- und Edelstahl, Messing oder Bronze, der massiven Bleche und Stäbe, zwischen denen die Musiker*innen Platz finden, wie dem berühmten Gemälde „Eisenwalzwerk“ von Adolph Menzel entrissen. Die traditionell anmutende Besetzung – Streicher, ergänzt um Schlagwerk, Flöte, Klarinette – ermöglicht natürlich den Clou des Abends: Ist doch Andriessens Klangmaschine hier eingebunden in ein Stück, das ebenso komplex strukturiert ist, aber die eigene Abstraktheit bestens verschleiert: Johann Sebastian Bachs „Die Kunst der Fuge“.
Bach passt natürlich doppelt: Seine Arbeitsweise scheint aufgrund des hohen Schaffensdruck in seiner frühen Leipziger Zeit beinahe auf Autopilot zu laufen, das Himmelreich, das seine Stücke schaffen, auch Ergebnis effizienten Komponierhandwerks – ein weiter Bogen zu den Zahnrädern der Industrialisierung, aber nur eine Abzweigung entfernt von den Manufakturen, die zu seiner Zeit die Arbeit der Zukunft vorwegnehmen. Zum anderen ist gerade die „Kunst der Fuge“ von fast mathematischer Präzision.
Die Effizienz und Präzision, die die Verschränkung der beiden vordergründig so unterschiedlichen Werke andeutet, wird in den Stücken von Missy Mazzoli gespiegelt. Die 1980 geborene New Yorker Komponistin schlüpft mit ihrem Stück „Ecstatic Science“ in die Rolle der verrückten Mathematikerin und schafft ein Stück, das jede Geometrie verwirbelt und doch systematisch streng ausgeführt ist.
Den Abschluss des Abends bildet ein beinahe brutales Stück für Cello, Electronics und Verzerrer. Jakob Nierenz führt das Publikum mit höchstem körperlichen Einsatz in atemlose Fassungslosigkeit. Dabei ist Michael Gordons „Industry“ ebenfalls ein an Intertextualität reiches Stück, das mit Mitteln der futuristischen Musik zu einer wahren Industrielle Revolution aufruft. Schwermetallmusik zwischen Schwermetall, umstürzlerisches Rauschen am Ende eines Abends, der mit kontrapunktischer Präzision beginnt. So tanzt PODIUM also in seinen vierzehnten 1. Festival-Mai, es möge ein kämpferischer werden.
Fotos: Sophia Hegewald