Liebe PODIUM-Freund*innen,
während wir aus kaum identifizierbaren Wochentagen zwischen Hänsel-und-Gretel-Vorstellungen und Johann-Strauss-Galen in ein neues Jahr stolpern, hallt in uns der Soundtrack der 2023-Nostalgie nach. Auch ich, Joosten Ellée, drehe ihn nochmal laut auf und erzähl’ ein bisschen, bevor das neue Jahr über uns hereinbricht.
2023 stand für uns ganz im Zeichen des “Endes”. Mit Produktionen wie SIEBEN LETZTE WORTE - KEIN ERLÖSER AM KREUZ, aber auch LAST CHANCE TO HEAR und 1x MOZART-REQUIEM INKL. MWST. haben wir ständig in die dunkelsten Ecken unserer Existenz geguckt, oder eben aus dunklen Zukunftsszenarien zurück auf unsere Gegenwart. Paradoxerweise - nicht nur an sich, sondern auch im Kontext einer Welt, die sich leider auch dieses Jahr stetig verdunkelt hat - sind daraus mit dem versteckten Leitmotiv der Hoffnung unzählige unglaubliche und unvorhersehbare Kunstwerke entstanden. Wir haben dieses Jahr Auftragskompositionen von Farzia Fallah, Emma O’Halloran, Anahita Abbasi, Luise Volkmann, inti figgis-vizueta, Molly Joyce, Ying Wang, Miriam Berger und Rike Huy uraufführen dürfen. Hinzu kamen etliche Deutschlandpremieren anderer Kompositionen, neue Bühnenstücke von Lisa Pottstock und Constanze Negwer, künstlerische Educationprojekte von Wiebke Rademacher, Musikvideos von Odelia Toder (s.u.) und zahlreiche instrumentale Sternstunden. Aus all diesen spricht gewissermaßen der Trotz. Kein bockiger Trotz, der im Weg steht, sondern ein inspirierter Trotz, der sich nicht damit zufrieden gibt, wie es gerade ist. Einer, der das unsagbare Leid und die schlechten Aussichten sieht, darunter leidet und eben trotzdem oder gerade deswegen unbedingt an etwas glaubt. Ich gebe zu: Es ist nicht immer leicht, in der Kultur zu arbeiten. Neben außergewöhnlich großartigen Kolleg*innen im Team von PODIUM, sind es aber diese goldenen Momenten, in denen tatsächlich aus dem Nährboden, für den wir so verbissen kämpfen, Kunst entsteht, die uns wochenlang, monatelang ins Herz scheint und durch magische, musikalische Photosynthese durch den nächsten Kostenfinanzierungsplan trägt.
Warum auch so ein Musikvideo vom Trotz erzählt? Ich muss kurz ausholen: Gestern habe ich endlich “Maestro” angucken können. Einen Film, den ich nur wärmstens empfehlen kann. Nicht wegen Maestro-Kult, Genie-Gläubigkeit oder dem üblichen Klassik-Marketing-Etikettenschwindel, sondern wegen der unglaublich feinfühligen Erzählung über Liebe, Zerrissenheit, Depression, Lebensfreude und dem schwierigen Drahtseilakt zwischen all diesen zerrenden und zehrenden Kräften Künstler*in zu sein. Und: weil es eigentlich ein Film über Felicia Bernstein ist, die wiederum mit folgendem erschütternden Zitat im Drehbuch ausgestattet wird: “If summer doesn’t sing in you, then nothing sings in you, and if nothing sings in you, then you can’t make music.” Auch in Künstler*innen wie Lukas Akintaya, der übrigens im nächsten Festival eine sehr spannende Residenz gestalten wird, “singt der Sommer”. Auch in uns bei PODIUM singt noch der Sommer, begleitet von dem zwingenden Generalbass des unbedingten Glaubens, dass wir hier etwas machen, was nicht ganz unwichtig sein kann, auch wenn die Lage der Welt sich bedrohlich um uns herum auftürmt. Türme, die uns erdrücken würden, würden wir uns als zur Ablenkung verdammte Unterhaltung sehen. Auch 2024 werden wir nicht aufhören vor bedrohlicher Kulisse dieselbe anzusingen, ihr sehr laute und sehr leise Musik entgegen zu schmettern, beharrlich (An-)Klagelieder anzustimmen und verträumt instrumental von Liebe zu erzählen. Wir werden für Demokratie spielen, gegen Rechtsextremismus, für Zusammenhalt und ja, leider auch immer noch notwendigerweise für mehr Geschlechtergerechtigkeit im klassischen Kanon. All das aber nur, weil wir daran glauben, dass da überall großartige Musik verborgen liegt, die zum Leben erweckt werden muss.
Der Sommer singt noch in uns. Und auch in diesem Jahr wieder in Esslingen. Das ganze Jahr.
Bis dahin, herzliche Grüße und ein gutes neues Jahr!
Joosten Ellée