Am 07. und 08. Dezember findet im Linden Museum im Rahmen der Klangausstellung „BODIES OF WATER - Mahnmale für Wasser" das inszenierte Konzert ANTHROPOLOGIE DES WASSERS statt. Im Interview spricht die Dramaturgin Marisa Burkhardt über ihren Bezug zu den Texten, zur Autorin Anne Carson und das spezielle und neue Format des inszenierten Konzerts.
Im poetischen Text der kanadischen Lyrikerin Anne Carson haben Bewegung, Begegnung und besonders Wasser eine existentielle Bedeutung für eine Protagonistin und ihr Verhältnis zu ihrem an Demenz erkrankten Vater. Sie verreist, um Schmerz und Ohnmacht zu überwinden, in die sie die Krankheit ihres Vaters gestürzt hat. Die Pilgerreise auf dem Jakobsweg, die sie bis zum Meer in Fisterra („Ende der Welt“) bringt, führt sie gleichzeitig auch zu einem unerwarteten inneren Ziel.
Als Dramaturgin für die Produktion ANTHROPOLOGIE DES WASSERS arbeitest du gerade intensiv an dem gleichnamigen Text von Anne Carson. Was fasziniert Dich an der Autorin und an dem Text?
An Anne Carson und ihren Texten fasziniert mich besonders, wie sie Brücken schlägt zwischen den Zeiten. Sie ist nicht nur Autorin/Dichterin, sondern auch klassische Philologin und Übersetzerin. Sie beschäftigt sich mit antiken Texten und Stoffen und spannt Netze zwischen diesen und heutigen Leser*innen. Ihre Texte stellen auf sehr mutige, manchmal fast kühne Weise Verbindungen her und lassen uns in Kommunikation treten mit der Vergangenheit, mit unserer Vorstellung von der Vergangenheit. Darin haben ihre Texte für mich auch etwas Spielerisches, so als würde Anne Carson mit ihren Texten fragen, basteln, ausprobieren, was wie zusammenpasst und wie gestern und heute (und morgen?) resonieren, miteinander klingen.
In dem Text geht es um die Beziehung zwischen einer Tochter und ihrem an Demenz erkrankten Vater. Ein offensichtlicher Bezug zu Wasser liegt dabei erstmal nicht auf der Hand; Wie verknüpft Anne Carson diese beiden Themen?
Das Wasser begleitet die Protagonistin, die Tochter, in “Anthropologie des Wassers” auf Schritt und Tritt, es ist überall und nimmt alle möglichen Formen an - sie hört es durch die Rohre in den Hotels gluckern, trinkt es aus ihrem Trinkbeutel, es erscheint als Nebel, Regen, in Form von Aquädukten, die die Landschaft durchziehen, mit denen früher trockene Regionen mit Wasser versorgt wurden, und schließlich als das Meer. Es ist also immer da, aber nicht fassbar oder auf eine Gestalt zu reduzieren. Ebenso ist auch die Suche, auf die sich die Tochter begibt - nach ihrem Vater bzw. einem Umgang mit seiner Krankheit und ihrer Beziehung in der Krankheit - ein Mäandern und nicht greifbar. Ich glaube, das Wasser kann auf der Reise der Tochter auch immer als eine Frage nach dem Umgang mit Trauer, Wut und der Distanz zu dem Vater gesehen werden. Wie sich nicht überspülen lassen von diesen Gefühlen, wie nicht untergehen? Oder muss sie zumindest etwas eintauchen? Sich zumindest dem Wasser widmen, um sich mit dem Vater und seiner Krankheit zu beschäftigen?
Das Format, das du zusammen mit Joosten Ellée gestaltest, beschreibt ihr als inszeniertes Konzert. Inwiefern sind solche musikalisch-literarischen Formate interessant für dich?
Als Dramaturgin beschäftige ich mich in der Regel vor Probenbeginn bereits sehr intensiv mit dem Text, der Recherche und überlege, was er für Welten und Fragen eröffnet. Wenn der Text aber dann das Buch, das Papier oder die PDF-Datei verlässt und mit anderen Elementen - einer Spielerin, einem Raum, der Musik und den Musikerinnen - zusammenkommt, entstehen auf einmal ganz viel weitere oder sogar ganz andere Assoziationen, Konstellationen und Szenen als die, die sich im Text und in meinem Kopf schon vorher abspielen. Das ist immer wieder überraschend und irgendwie magisch. Daher finde ich es immer toll und inspirierend, wenn der Text in Interaktion mit der szenischen Umwelt und der Musik tritt.
Was ist für Dich die Quintessenz des Textes? Worauf will die Autorin Deiner Meinung nach hinaus?
Für mich steht in dem Text die Beziehung zwischen Tochter und Vater, bzw. männlichen Figuren in einem größeren Kontext, im Zentrum. Anne Carson untersucht Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Begegnungen und Distanz in zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Weltverhältnis der Protagonistin – gerade, wenn sich alle Parameter der gewohnten Beziehung durch eine schwere Krankheit wie Demenz verändern. Die Tochter begibt sich auf eine Reise oder Suche, die für mich auch eine Annäherung an die Umwelt ist.
Ein wichtiges, wiederkehrendes Zitat aus dem Text lautet „Einige Wasserarten ertränken uns. Andere nicht.“ - Welche Art von Wasser ist Dir persönlich die liebste, und warum?
Auf jeden Fall die Arten von Wasser, die uns nicht ertränken. Leitungswasser finde ich super - es ist ein Privileg, dass wir so sauberes, trinkbares Wasser in Deutschland haben. Gerade in Anbetracht des zunehmenden Mangels an Wasser auf der Erde. Wasserknappheit bzw. Dürre spielt auch in Anthropologie des Wassers eine Rolle: die Tochter wandert auf ihrer Reise aus dem Dauerregen in eine Landschaft, die immer trockener wird, bevor sie schließlich zum Meer kommt. Es gibt für Anne Carson auch Wasserarten, die uns nähren, die uns erhalten und nach denen wir dürsten.
Der Abend ist definitiv keine Oper, lässt sich aber vielleicht der Richtung des Musiktheaters zuordnen. Was wünschst Du Dir für die Zukunft des Musiktheaters?
Zur Zeit ist die Lage gerade für die frei produzierenden darstellenden Künste nicht einfach. Die ohnehin schon begrenzten Mittel der öffentlichen Förderung werden durch Sparmaßnahmen weiter gekürzt, sodass die Gruppen/Ensembles, Theater/Konzerthäuser und Festivals darunter leiden und der Wettbewerbsdruck und die Konkurrenz der Akteur*innen der Szene weiter steigt. Ich hoffe, dass sich das in Zukunft verändert und Kultur und Kulturorte - gerade die mir den kleineren, experimentellen, neuen Formen - als wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens angesehen werden.
Die Sonderausstellung und Konzerte finden in Kooperation mit dem Linden-Museum Stuttgart und dem Literaturhaus Stuttgart statt.
Gefördert durch „tuned – Netzwerk für zeitgenössische Klassik“ der Kulturstiftung des Bundes. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.