PODIUM ESSLINGEN
PODIUM ESSLINGEN
Forderer Logos

Ein großer Spannungsbogen

Ein Text von Edda Höfer

Neben den großen Produktionen im Rahmen von PODIUM.tuned stehen drei weitere außergewöhnliche Konzertformate am ersten PODIUM Festivalwochenende 2024 auf dem Programm. Größer könnten deren Unterschiede nicht sein; örtlich, thematisch und musikalisch: ein großer Spannungsbogen, der vielleicht so nur in Esslingen denkbar ist! Eisenlager, Kaisersaal und Druckerei, stellen Örtlichkeiten dar, die die Esslinger Stadtgeschichte, von der stolzen freien Reichsstadt bis hin zur frühen Industrialisierung, wie in einem Brennglas bündeln. Diese eigentlich amusischen Orte des Handels, der Rechtsprechung und der geschäftigen Produktion an einem Wochenende zum Klingen zu bringen, ist eine großartige Idee. Die über eine große Zeitspanne dramatisch angereicherte Aura derartiger Räume fordert dann aber auch ihren ganz und gar spezifischen künstlerischen Inhalt heraus, dem die Konzertdramaturgie auch Rechnung trägt.

„Schweres Blech für die Demokratie“ wird am Samstag im Eisenlager für den Stahlgroßhandel aufgefahren. Ein Blechbläserensemble covert Songs der kompromisslos gesellschaftspolitischen Rap-Rock-Metall-Musiker aus den 90ern, die auch heute noch großen Anklang finden. „Killing in the name of“ ist vielleicht der bekannteste Song der Band „Rage against the machine“, eine zornige Anklage gegen den rassistischen Ku-Klux-Klan. Eine mutige Idee, die eigentlich für vier Stimmen a cappella gesetzten romantischen Gartenlieder von Fanny Hensel, als idyllisch ersehnten Kontrast dazu zu spannen. Der Begriff Multiversum bedeutet Parallelwelten und ebenfalls am Samstag, am späteren Abend, erklingen diese in der Ritterstraße im barocken Kaisersaal des heutigen Amtsgerichts, in dem die Blicke der Besucher*innen unweigerlich zu den prächtigen Deckenfresken nach oben wandern.

Diesen Blickwinkel verstärkt, sichtlich sinnfällig, Arnold Schoenbergs Vorstoß in eine neue Tonalität in seinem Streichquartett op.10 mit Gesang - „Ich fühle Luft von anderen Planeten“. Selten zu hörende, vorwiegend aus weiblicher Hand geflossene musikalischen Kostbarkeiten wie Fanny Hensels Streichquartett in Es-Dur und Werke von Julie Zhu, Caroline Shaw, Fjøla Evans, David Bowie und Yaz Lancaster umrahmen dieses kosmologisch-irdische Ausnahmewerk. Die Schweizer Mezzosopranistin Isabel Pfefferkorn hält das mit dem Rothko String Quartet alles zusammen.

In der Druckerei Bechtle, in der täglich unzählige Zeilen zu Papier gebracht werden, bringen das Esslinger Vokalensemble, zusammen mit einem Instrumentalensemble von PODIUM und noch einmal der Sängerin Isabel Pfefferkorn, das Konzertformat „Zwischen den Zeilen“ zur Aufführung. Werke von vier Komponistinnen aus zwei Jahrhunderten füllen den Abend. Das Zentralwerk des Konzerts stammt von der Amerikanerin und Pulitzerpreisträgerin Caroline Shaw. Es setzt sich mit den Fluchtbewegungen unserer Zeit auseinander. Ihr von dem frühbarocken deutschen Komponisten Dietrich Buxtehude und einem in der Freiheitsstatue von New York eingemauerten Text von Emma Lazarus inspiriertes Werk „To the hands“ ist ein unendlich anrührender Aufruf an die Menschheit zur Menschlichkeit. Darüber hinaus sind zwei ungewöhnliche Werke der beiden Ikonen des spätromantisch-nostalgischen 20. Jahrhunderts zu erleben: Ein Oktett für Blechbläser und Klavier von Florence Price und vier Songs von Ethel Smyth, bei der auch die fantastische Musikerin Teresa Raff an der Harfe zu erleben ist.