Für die Klanginstallationen von LAST CHANCE TO HEAR, die vom 23. bis 30. April 2023 im Rahmen des PODIUM Festivals im Maille-Park aus Lautsprechern erklingen werden, ist ein Team von Musiker*innen zu verschiedenen Orten gefahren, um dort in Workshops mit Kindern Soundmaterialien zu verschiedenen aussterbenden Tieren zu sammeln. Diese Tiere sind zufällig auch die Lieblingstiere von Wiebke Rademacher, die das Projekt leitet: die Biene, der Afrikanische Elefant, der Goldregenpfeifer und der Pazifische Nordkaper.
Neben Wiebke sind auch drei Musikerinnen des Elaia-Quartetts dabei: Leonie Flaksmann (Violine), Francesca Rivinius (Viola, oder “Bratze”, wie die Kinder es genannt haben) und Karolin Spegg (Cello). In den Workshops haben wir Audio-Aufnahmen gemacht, die dann in unterschiedlichen Formen in die vier Klanginstallationen der Komponistinnen Rike Huy und Miriam Berger eingehen werden.
Sonntag, 26.03., 16 Uhr: Familie Entenmann
Am Sonntag, den 26. März um 16 Uhr kommen wir an unserer ersten Station an: bei der Familie Entenmann. Kathrin und Klaus Entenmann sind Imker*innen und betreiben ein kleines Café und Restaurant in der Esslinger Innenstadt.
In einem Interview verraten sie uns: Bienen fliegen grundsätzlich bei über 10 Grad, aber nicht bei Regen. Sie mögen es nicht, nass zu werden. Und wenn der Honig nass wird, dann gärt er. “Deswegen fliegen bei Regen alle heim”, sagt Kathrin Entenmann. Bei unserem Besuch bei den Entenmanns hat das Wetter uns leider nicht in die Karten gespielt - es war kalt und regnerisch. Daher haben wir nur wenige Bienen sehen und hören können. Und trotzdem haben wir einen Eindruck bekommen, in welchem Lebensraum die Bienen hier leben: grüne Wiesen mit hohem Gras, blühende Bäume und Blumen, kleine Teiche - ein Tummelplatz für die kleinen gelben Mitbewohner*innen.
Wild- und Honigbienen tragen maßgeblich zur Bestäubung unserer Kultur- und Wildpflanzen bei. Rund die Hälfte aller deutschen Wildbienenarten ist vom Aussterben bedroht.
Die Familie Entenmann hat insgesamt 30-40 Völker an verschiedenen Standorten. Im Winter sind das 8.000-10.000, im Sommer bis zu 60.000 Bienen pro Volk. Da ist sicher im Sommer ein lustiges Treiben und lautes Gebrumme im Garten zu hören. Im Garten der Entenmanns lebt vor allem die normale Honigbiene, auch Apis mellifera genannt.
Wir erfahren, dass das Bienenvolk bestimmt, wer ihre Königin wird. Dies geschieht nur durch das Essen: die Arbeiterinnen bauen der Bienenkönigin eine größere Zelle, in der es mehr Gelée Royale zu fressen gibt. Dadurch wächst ihr eine Gebärmutter, welche sie von den Arbeiterinnen unterscheidet.
Die Familie Entenmann hat vor 10 Jahren mit der Imkerei begonnen. Im Winter ist es wenig Arbeit, da die wenigen Bienen nicht fliegen. Im Sommer ist deutlich mehr zu tun, mindestens einen Tag pro Woche müssen die beiden für die Arbeit mit den Bienen einplanen. Die Honigbienen sind im Gegensatz zu den Wildbienen tatsächlich nicht so stark vor dem Aussterben bedroht, da sie von den Menschen gefüttert werden. Nach Schweinen und Kühen sind sie die dritthäufigsten Nutztiere der Menschen.
Kathrin Entenmann sagt: “Bienen gibt es schon ewig, die wird es wohl auch noch ewig geben. Die Insekten sterben nicht aus, aber für uns Menschen wirds schon langsam eng. Bienen sind extrem anpassungsfähig, die gibt es auf der ganzen Welt, egal wie kalt oder wie warm es ist, weil sie sich in ihrem Stock immer die gleiche Temperatur schaffen. Die kommen also mit vielem zurecht. Ich würde mir mehr um das Sterben der Menschen Sorgen machen. (zögert kurz) - aber vielleicht ist es besser für den Planeten, dass die Menschen aussterben… (lacht)”.
Einen Appell hat Kathrin Entenmann noch an alle für eine größere Insektenvielfalt: “Lasst Totholz im Garten stehen, räumt die Gärten nicht zu doll leer! Dort können sich Hornissen-, Hummel- und Wildbienenschwärme ansiedeln, die für das Überleben unseres Planeten von so großer Bedeutung sind.”
Auch, wenn bei Familie Entenmann kein Workshop mit Kindern und Jugendlichen stattgefunden hat, hat unser junges Team an diesem Nachmittag eine Menge über die Artenvielfalt und unsere Umwelt gelernt. Die Atmosphärenaufnahmen des Gartens, das wenige Summen der Bienen, das wir trotz des schlechten Wetters aufnehmen konnten und die O-Töne mit Fakten über Bienen werden Einzug in die Kompositionen von Rike Huy und Miriam Berger finden.
Montag, 27.03., 10 Uhr: Internationaler Montessori Kindergarten Esslingen
Was müssen das für Bäume sein, wo die großen Elefanten spazieren gehn, ohne sich zu stoßen? - Afrikanische Elefanten – die größten Landlebewesen der Erde – sind durch Wilderei und Lebensraumverlust vom Aussterben bedroht.
Am Montagmorgen von 10-11:30 Uhr waren wir im Montessori-Kindergarten in der Sulzgrieser Straße. Das Tier des Tages: der Afrikanische Elefant. Das Elaia-Trio begleitet den Workshop musikalisch, es beginnt mit einem kurzen Ausschnitt aus Schuberts Streichtrio in B-Dur. Die Kinder sind begeistert, werden von der Musik in ihren Bann gezogen und lachen über die lustigen Mimiken, die die Musikerinnen Karolin, Leonie und Francesca beim Spielen machen.
Dann wird gemeinsam gesungen: “Was müssen das für Bäume sein, wo die großen Elefanten spazieren geh’n, ohne sich zu stoßen?” Zuerst noch schüchtern, dann laut, mit viel Freude und großen Bewegungen sind die Kinder dabei.
Wiebke Rademacher hat ein kleines Spiel vorbereitet, um den Kindern zu zeigen, wie Elefanten laufen und wie es ist, wenn ihr Lebensraum genommen wird: in Zweierteams laufen die Kinder als Elefanten durch den Raum. Die vordere Person formt mit den Händen einen Rüssel vor dem Gesicht, die hintere Person hält die vordere an den Schultern. Und nun wird gemeinsam gestampft wie ein Elefant. Davon werden Audioaufnahmen gemacht für die beiden Komponistinnen. Es wird ausprobiert, was passiert, wenn die Elefanten auf einmal weniger Platz haben, wenn die Menschen in ihren Lebensraum eintreten. Und was es verändert, wenn die Menschen nett und respektvoll mit ihnen umgehen und ihnen Raum geben. Außerdem dürfen die Kinder sich überlegen, was sie am Afrikanischen Elefanten besonders toll finden:“Ich mag, dass du so schön trompetest!”, “Ich mag deine Ohren.”, “Du hast einen tollen Rüssel!”, “Du hast schöne Elefantenfüße” - obwohl die Füße von der Mutter eines Kindes wohl sogar größer sind als die eines Elefanten.
Und zum Abschluss darf jedes Kind noch einen Wunsch für den Afrikanischen Elefanten aussprechen: “Ich wünsch dir, dass du genug Essen kriegst”, “Ich wünsch dir, dass nette Menschen zu dir kommen”, “Ich wünsch dir genug Platz”, “Ich wünsch dir ein schönes, langes Leben!”. Das sind doch schöne Wünsche an ein vom Aussterben bedrohtes Tier. Vielleicht kann der Elefant tatsächlich noch ein schönes, langes Leben haben, wenn er von netten Kindern wie diesen umgeben ist - ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft?
Montag, 27.03, 16:30 Uhr, Kinderzentrum Agapedia Esslingen
Noch im 19. Jahrhundert war der Goldregenpfeifer ein häufiger Brutvogel der deutschen Moore und Heidelandschaften. Heute ist sein Bestand auf 8-11 Brutpaare gesunken.
Am Nachmittag besuchen wir die Zirkusgruppe des Kinderzentrums Agapedia Esslingen. Wiebke stellt ein weiteres ihrer Lieblingstiere vor: den Goldregenpfeifer. Er ist ein Vogel, der in weiten Moorlandschaften, auf offenen Bergwiesen, in Heiden und in der Tundra lebt. In Mitteleuropa ist er nahezu ausgestorben, nur einige wenige Paare kommen noch in den Hochmooren Niedersachsens vor. Er sieht sehr schön aus, hat ein gold-grau-braun gesprenkeltes Gefieder und ernährt sich von Insekten, Würmern, Schnecken, Spinnen, aber auch Pflanzen, besonders Beeren. Auch der Goldregenpfeifer leidet unter der Zerstörung seines Lebensraums und gehört zu den vom Aussterben bedrohten Tierarten.
Gemeinsam mit dem Elaia Quartett entwickeln die Kinder eine musikalische Performance zum Goldregenpfeifer. Sie stellen sich die Frage, wie eine Moorlandschaft klingen kann, um nachzuvollziehen, wo und wie der Goldregenpfeifer lebt. Mit der KOALA-App produzieren die Kinder auf Tablets Klänge, die zum Goldregenpfeifer passen: sie ahmen seinen Ruf nach, erzeugen Wind, imitieren andere Tiere wie Schafe oder Frösche und erzeugen so eine Soundcollage. Zusätzlich dazu sprechen die Kinder Sätze zum Goldregenpfeifer ein. Sie verteilen sich im Raum und erschaffen eine musikalische Performance. Begleitend dazu spielt das Elaia-Trio ebenfalls atmosphärische Klänge, knarzende Bäume und malt so ein Bild einer Moor- und Heidelandschaft, in der sich der Goldregenpfeifer sicher wohlfühlen würde.
Dienstag, 28.03., 09:50 Uhr: Seewiesenschule Esslingen
Am Dienstag endet vorerst die Reise für das Team: für einen letzten Workshop machen sie sich auf zur Seewiesenschule Esslingen. Die Gruppe, bestehend aus fünften Klassen, ist die größte in unserer Workshopreihe. Das heutige Lieblingstier von Wiebke ist der Pazifische Nordkaper, ein Glattwal, der im nördlichen Pazifik lebt. Der Nordkaper wird durchschnittlich 15 Meter lang und wiegt 50-60 Tonnen. Auf der Nase hat er eine große, verhornte Schwiele, die man Mütze nennt, auf der kleine weiße, rosa, gelbe und orange Krebse leben. Obwohl seine einzigen Feinde der Mensch und der Schwertwal sind, ist er stark gefährdet, vermutlich gibt es nur noch wenige hundert Tiere seiner Art.
Auch in diesem Workshop entsteht eine musikalische Performance: die Kinder erforschen, wie das Meer klingt, wie der Wind klingt, hören sich Walgesänge an und verbinden letztlich alles in einer großen Collage zusammen mit dem Elaia-Trio. Mit der Stimme, mit dem Körper, mit der KOALA-App und mit klangerzeugenden Instrumenten wie Heulrohren und Ocean Drums erzeugen sie eine Klanglandschaft.
Diese Performance wird es auch beim Abschlusskonzert von LAST CHANCE TO HEAR am 30. April um 11 Uhr im KOMMA zu hören und sehen geben.
Am Ende des Workshops gibt es noch eine sehr nette Feedbackrunde der Schüler*innen: “Großes Kompliment an die Musikerinnen, ihr habt sehr toll gespielt, ich wäre viel zu nervös, um vor so einer großen Gruppe zu spielen”, sagt eine Schülerin.