LAUTE BÄUME – Musikalische Mahnmale für den Regenwald

Die tropischen Regenwälder im Amazonas- und im Kongobecken sind die weltweit größten Regenwälder und gelten als „Lunge der Welt“. Noch filtern sie Kohlendioxid aus der Atmosphäre und speichern es, noch weisen sie die größte Biodiversität auf, noch regulieren sie unser Klima mit. Doch die Regenwälder sind akut durch Abholzung und Raubbau bedroht, Waldflächen werden zugunsten von Weide- und Ackerflächen gerodet, werden durch den Abbau von Edelmetallen aus der Erde zu Brache, im schlimmsten Fall zu Wüsten. Torfe und Moore brennen, und mit ihnen das Weltklima. Seit Jahrzehnten kämpfen indigene Menschen in den betroffenen Gebieten und weltweit für die Anerkennung ihrer Rechte und die Hoheit über die Gebiete, für die sie sorgen. Ihre Stimmen rückt die Klangausstellung LAUTE BÄUME in den Mittelpunkt.
Djuena Tikuna
Djuena Tikuna, wurde 1984 in der Region Alto Solimões im Bundesstaat Amazonas in Brasilien geboren. Sie ist Teil der Tikuna-Gemeinschaft, der größten indigenen Community Brasiliens. Den Gesang nutzt sie als Ausdrucksmittel für ihren Kampf gegen die Ungerechtigkeit. Die studierte Journalistin trat 2017 als erste indigene Sängerin im Teatro Amazonas in Manaus auf. Ihre Lieder singt sie in ihrer Muttersprache.

SOPRO DA VIDA (Atem des Lebens)
Komposition: Djuena Tikuna (*1984) / Brasilien
Musik: Djuena Tikuna
Text: „Und selbst wenn mir die Luft fehlt, wird die Sonne endlich kommen. Ein Ritual, um alle Dunkelheit zu erhellen. Der Wald segnet uns mit dem Atem des Lebens.“
CANTO DOS ENCANTADOS (Lied der Geister)
Komposition: Djuena Tikuna (*1984) / Brasilien
Musik: Djuena Tikuna
Text: „Dieses Lied hält unsere Kultur lebendig. Es stärkt unser Volk. Yo’i ist der Wächter des Waldes und unseres Territoriums. Ich singe in der Sprache meiner Vorfahren, die Yo’i grüßen. Der Wald ist die Heimat der Geister.“
Huguette Tolinga
Die 1988 geborene kongolesische Perkussionistin Huguette Tolinga entdeckte im Alter von sieben Jahren das Schlagzeug, debütierte in der zeitgenössischen Tanzkompanie von Jacques Bana Yanga in Kinshasa und gründete 2010 ihre eigene Band „Huguembo“. Als erste weibliche Schlagzeugerin hat sie in der Musikszene von Kinshasa den Durchbruch geschafft. Ihr kraftvoller Stil wird von verschiedenen Rhythmen beeinflusst und umfasst auch lokale Instrumente wie die Lokole (Schlitztrommel), die Kalebasse und Gesang.

ELANGA (Wald)
Komposition: Huguette Tolinga (*1988) / D.R. Kongo
Musik: Huguette Tolinga & Ensemble
„Es schmerzt, zu sehen, wie der Wald stirbt, wie er brennt. Den Wald zu respektieren, bedeutet auch, die indigenen Menschen zu respektieren.“
BATWA (indigene Menschen)
Komposition: Huguette Tolinga (*1988) / D.R. Kongo
Musik: Gruppen der Bokatola Ingende Pygmäen (Gesang und Stimme)
Huguette Tolinga & Ensemble
Im Jahr 2023 reiste Huguette Tolinga in die Provinz Équateur. Die dort lebenden indigenen Menschen beklagen in diesem Stück, dass von der Waldwirtschaft nur die Ausbeuter profitieren, nicht aber die ansässigen Gemeinschaften.
BODIES OF WATER – Musikalische Mahnmale für Wasser
Tauende Permafrostböden, schmelzende Eispanzer, steigende Meeresspiegel, Extremwetter und Trinkwasserknappheit. Ohne Wasser gibt es kein Leben auf der Erde. Zu viel und zu wenig Wasser kann schnell zur Bedrohung werden – die Bilder der Ahrtalflut 2021, von schwersten Waldbränden weltweit und von Wasserrationierung im Sommer 2023 haben sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Menschen an den Polkappen und im Globalen Süden sind von den Auswirkungen besonders stark betroffen. Zwei Komponist*innen setzen mit ihren außereuropäischen Perspektiven musikalische Mahnmale für das Wasser.

Tarawangsawelas
Das indonesische Duo “Tarawangsawelas” um Teguh Permana aus Bandung hat eine zeitgenössische Version der sakralen Tarawangsa-Musik aus dem sudanesischen Westjava entwickelt, die neben den zwei traditionellen Instrumenten Tarawangsa und Jentreng auch diverse Effektgeräte verwendet. Tarawangsa Musik ist eng verbunden mit Reisernte-Ritualen. Teguh Permanas Neukompositionen werfen ein Licht auf die Herausforderungen für die Reisbauern, die mit Dürre, Wasserverschmutzung und Überflutungen zu kämpfen haben.

KIRUH (Unbeständigkeit)
Komposition: Teguh Adi Permana (*1991, Indonesien)
Musik: Tarawangsawelas
Die Tarawangsa ist eine mit dem Bogen gestrichene Kastenhalslaute aus dem ehemaligen Königreich Sunda in Westjava, Indonesien. Die nach ihr benannte Tarawangsamusik ist eine sakrale Ritualmusik, die vor allem bei Zeremonien für die Reisgöttin Dewi Sri gespielt wird und die Teilnehmenden in einen Trancezustand versetzt. Heute gibt es nur noch rund 50 Menschen, die im Spiel der Tarawangsa ausgebildet sind; Einer von ihnen ist der Komponist Teguh Adi Permana, Gründer des Duos Tarawangsawelas.
„KIRUH erzählt von der Zerrissenheit im Leben der Bauern, von der Herausforderung, ein einfaches Leben inmitten des Ansturms der Modernisierung zu führen und von der Entfremdung der Menschen von der Natur.“— Teguh Adi Permana
SAAT (Ein flüchtiger Augenblick)
Komposition: Teguh Adi Permana (*1991, Indonesien)
Musik: Tarawangsawelas
Neben der Zunahme von Extremwetterereignissen ist auch die Wasserverschmutzung an vielen Orten Indonesiens ein Problem. Aufgrund der Belastung durch Abwasser aus der Textilindustrie gilt der Fluss Citarum in der Region um Bandung als der am stärksten verschmutzte Fluss Indonesiens. Verschiedene Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen setzen sich seit einiger Zeit für die Reinigung und Renaturierung des Flusses ein. Auch Tarawangsamusik spielt dabei eine Rolle: Sie wird zum Anlass genommen, um traditionelle Kulturpraktiken und Wissen zu bewahren und das Verhältnis von Menschen und Natur zu reflektieren.
„Wie das Wasser verschwindet, so kommt auch das Leben zum Stillstand.“ – Teguh Adi Permana
Melody McKiver
Melody McKiver ist Mitglied der Obishikokaang Lac Seul First Nation in der Region der Großen Seen (Kanada). Melody verbindet Elektronik mit westlicher klassischer Musik, um ein neues Genre von Anishinaabe-Kompositionen zu schaffen. Für die Klanginstallation kombiniert Melody Tonspuren von Erzählungen ausgewählter Anishinaabe Elders mit Bratschen- und Synthesizerklängen und beleuchtet damit regional spezifische Themen wie Landraub, Wasserverschmutzung und die indigene Wasserkrise.

ANISHINAABE MANOOMIN (Anishinaabe Wilder Reis)
Komposition & Musik: Melody McKiver (*1988, Kanada)
Laut Überlieferungen folgten die Anishinaabe vor Tausenden von Jahren einer Muschel am Himmel auf der Suche nach einem Ort, an dem Nahrung auf dem Wasser wächst. Ihre Reise führte sie von der Ostküste des nordamerikanischen Kontinents in die Region der Großen Seen, wo Wildreis wächst. Tatsächlich ist er das einzige Getreide, das ursprünglich in Nordamerika heimisch ist. Bei den Anishinaabe ist er unter dem Namen Manoomin („gute Beere“) bekannt und bis heute ein kulturell und spirituell bedeutendes Grundnahrungsmittel, das Verwendung in Medizin, Ritualen und Dankbarkeitszeremonien findet.
In ihren Neukompositionen verwendet Melody McKiver unter anderem Ausschnitte eines Interviews mit dem Anishinaabe Ältesten Leonard Gordon, der als Jäger und Fallensteller einen großen Wissensschatz bewahrt.
BIMAADZIWIN NIBI (Wasser ist Leben; Kanu Konvois)
Komposition & Musik: Melody McKiver (*1988, Kanada)
Der Kontext von Melody McKivers Kompositionen ist höchst politisch: Neben dem Kampf um die Rückgabe von Gebieten der Anishinaabe beschäftigt sich Melody außerdem mit der bedrohlichen Aussicht, dass ausgerechnet die angestammten Gebiete von Ansihinaabe Traplines (Fallenstellergebiete) für die Endlagerung von Kanadas Atommüll genutzt werden sollen. In beiden Stücken sind deshalb auch die Ausschläge eines Geigerzählers zu hören, die mit der Bratsche und synthetisierten Melodien aufgegriffen werden. Im Kontrast dazu erzählt der Älteste Leonard Gordon vom traditionellen Leben am und mit dem Wasser, von dem sich die Menschen aufgrund der Kolonisierung und Enteignung sowie die Ausbeutung der Natur entfremdet haben.
LAST CHANCE TO HEAR LAST CHANCE TO HEAR war in 2023 unsere erste Klangausstellung, in der bedrohten Tierarten musikalische Mahnmale gesetzt wurden. Sie durchbricht menschenzentrierte Denkmuster und schafft ein Bewusstsein für symbiotische Zusammenhänge in der Natur. Die Kompositionen von Rike Huy und Miriam Berger können in einem digitalen, interaktiver Spaziergang erlebt werden:

In Workshops wurden Kinder aus dem Esslinger Kinderzentrum Agapedia in den Entstehungsprozess der Klangausstellung miteinbezogen. Aus den vor Ort entstandenen Aufnahmen und Field Recordings entwickelten Rike Huy und Miriam Berger ihre Kompositionen für LAST CHANCE TO HEAR:

Miriam Berger: GOLDREGENPFEIFER
Ein Ziel von PODIUM ist, gesellschaftspolitisch relevante Themen mit künstlerischen Mitteln zu verhandeln. Deshalb setzt sich die Veranstaltungsreihe MUSIKALISCHE MAHNMALE dezidiert mit dem Klimawandel und mit dem Hörbar Machen indigener und außereuropäischer Stimmen auseinander. Seit 2023 zeigt PODIUM jährlich eine Klangausstellung im Maille-Park mit musikalischen Mahnmalen für verschiedene Aspekte des Klimawandels.
Gefördert durch „tuned – Netzwerk für zeitgenössische Klassik“ der Kulturstiftung des Bundes. Gefördert von dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Gefördert von den Stadtwerken Esslingen.
Mit freundlicher Unterstützung durch die Stadtwerke Esslingen.

